Das alternative Heimatbuch

8. Mai – 75 Jahre Tag der Befreiung vom Nazi-Regime

Liebe Leser(innen) dieser Zeilen, heute vor 75 endete die dunkelste Zeit in unserer deutschen Geschichte – das NS-Regime kapitulierte bedingungslos. Heute sehen wir dieses Datum als Tag der Befreiung an, erstmals 1985, 40 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges, vom damaligen Bundespräsidenten v. Weizsäcker so benannt. Davor und ganz besonders im Mai 1945 war dieser Tag für die meisten Deutschen der Tag der Niederlage. In ganz Europa feierte man jubelnd den Sieg über Hitler-Deutschland als Befreiung, nur in Deutschland herrscht allenthalben Niedergeschlagenheit. Hier hatte man sich bis zur letzten Patrone gegen die Niederlage gewehrt. In seinem Buch „Lügendetektor – Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45“ beschreibt Saul K. Padover, ein Sohn ausgewanderter österreichischer Juden, die Stimmung am 8. Mai 1945 folgendermaßen: „Mittags überquerten wir bei Mainz den Rhein. Überall sahen wir trübsinnige, schweigsame Deutsche, die mit keiner Geste, mit keinem Zeichen zu erkennen gaben, dass sie wussten, dass die ganze Welt ihre Niederlage feierte.“

In den 12 Jahren zuvor hatten die meisten Deutschen Hitler und seine Nationalsozialsten bei vielen Gelegenheiten frenetisch bejubelt und waren ihnen 1939 willig in den Krieg gefolgt. Im damaligen Saargebiet, wo das „1000-jährige Reich“ nur 10 Jahre andauerte, hatten sich bei der Abstimmung am 13. Januar 1935 fast 91 % der Saarländer(innen) für den Anschluss an Hitler-Deutschland entschieden, in der Bürgermeisterei Alsweiler, zu der Alsweiler, Marpingen, Urexweiler, Winterbach, Bliesen, Oberthal, Gronig und Güdesweiler gehörten, waren es sogar 96,24 %, das war Platz 11 in der Rangliste der damaligen saarländischen Bürgermeistereien. In so gut wie allen Orten des Saargebietes wurde das Ergebnis gefeiert und „Statusquo-Puppen“ an Galgen durch die Straßen getragen oder verbrannt. Auch in Alsweiler, Marpingen und Urexweiler marschierten am 15. Januar 1935, nach der Bekanntgabe des Ergebnisses, Fackelzüge durch die Straßen, wobei in Marpingen am Hause des Widerstandskämpfers Alois Kunz die Fensterscheiben eingeworfen wurden. Kunz wurde im September 1939 vom NSDAP-Ortsgruppenleiter angezeigt und ins KZ Sachsenhausen verbracht. Von dort kam er ins Vernichtungslager Auschwitz, wo er am 23. Oktober 1942 ermordet wurde. Ebenfalls im KZ umgebracht wurden aus Urexweiler 3 Sinti-Kinder, Eva, Maria und Peter Weiß, und der Händler Johann Adam Huber.
Schon kurz nach der Angliederung an das NS-Reich offenbarte sich auch in unseren Dörfern die Fratze des Antisemitismus. In Alsweiler hatte im August 1935 der „Schellenmann“ Jakob Dörr von dem Tholeyer Schuhgeschäft Jakob Lion den Auftrag erhalten, für dessen Geschäft per Schellenbekanntmachung Werbung in Alsweiler zu machen. Pflichtgemäß führte er den Auftrag aus. Alsweiler Bürger(innen) beschwerten sich darüber, dass in Alsweiler für ein jüdisches Geschäft Werbung gemacht würde und es wurde von höchster Stelle eine Untersuchung angeordnet. Der Schellenmann Jakob Dörr wurde daraufhin ermahnt und vom Reichskommissar Bürckel höchstpersönlich wurde am 19. Oktober erlassen, dass „Bekanntmachungen durch die Ortsschelle für jüdische Geschäfte“ zu unterbleiben hätten. Der nationalsozialistische Antisemitismus mit all seiner Gnadenlosigkeit und seinem Irrsinn findet sich auch in einer weiteren Geschichte aus Oberthal. Exakt 2 Monate vor der Befreiung, am 8. März 1945, wurde Helene „Sara“ Schu, geborene Isaak, verhaftet und über Tholey, wo man noch Camilla Fleck, geborene Kahn, auflud, ins KZ Theresienstadt deportiert. Die Beamten des NS-Staates taten noch ihre „Pflicht“, als man wahrscheinlich schon in Tholey und Oberthal den Artillerie-Donner der amerikanischen Geschütze hören konnte, denn am 17. März 1945 marschierten die alliierten Truppen in Tholey und Oberthal ein. Helene Schu verstarb in Theresienstadt im Alter von 46 Jahren an Flecktyphus, Camilla Fleck kam an Körper und Seele schwer verletzt nach Tholey zurück, wo sie bis zu ihrem Tode lebte. 
In der Kreisstadt St. Wendel wohnten 1933 136 jüdische Bürger(innen), mindestens 34 von ihnen wurden im Zuge der Shoa in deutschem Namen ermordet. Als am 22. Oktober 1940 die 4 letzten jüdischen St. Wendler(innen) nach Gurs deportiert wurden, war die Kreisstadt „judenfrei“. In derselben Woche lief dreimal täglich im Central-Theater in der Brühlstraße der Hetzfilm „Jud Süß“ so erfolgreich, dass die Laufzeit verlängert wurde. 
Soweit einige Gedanken zum Tag der Befreiung, der für manche heute noch immer ein Tag der Niederlage ist. Nur 18 Jahre nach diesem Tag erstellte man in Marpingen das „Ehrenbuch der Gefallenen und Vermißten von Marpingen“ und verteilte es an alle Haushalte. In ihm findet man unter den Gefallenen des 2. Weltkrieges 17 NSDAP-Mitglieder, darunter der Ortsgruppenleiter und ein KZ-Aufseher von Auschwitz, die beide als Helden geehrt werden. Und 50 Jahre nach der Befreiung war es 1995 nur unter großem Druck möglich, die namentliche Ehrung von Alois Kunz im Gemeinderat durchzusetzen. Und heute ist es möglich, dass der Vorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei von vielen bejubelt die NS-Zeit als einen „Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte“ bezeichnen kann. Die Schatten dieser dunklen Vergangenheit hängen auch nach 75 Jahren immer noch über uns und wir Demokraten müssen zusammen wachsam sein, dass der Rechtsextremismus nicht noch einmal bestimmend wird in unserem Land.