Das alternative Heimatbuch

Am  Montag, dem 19.11.2012, verlegte der Künstler Gunter Demnig zum 2. Mal Stolpersteine in St. Wendel. Unser Verein hatte nach der Verlegung von 11 Steinen im April 2011 nun eine weitere Verlegung von 9 Steinen organisiert. Der Landkreis unterstützte die Aktion wie beim ersten Mal tatkräftig. An 6 Stellen wurde im Bürgersteig vor den letzten frei gewählten Wohnsitzen der jüdischen Menschen die "Stolpersteine" verlegt. Die Passant(inn)en sollen über sie im Geiste stolpern und so an die im Nationalsozialismus ermordeten Menschen erinnert werden. Verlegt wurde in folgenden Straßen:

  • Mommstraße 11, zwei Steine für Lydia und Julius Drexler
  • Brühlstraße 9, ein Stein für Walter Kahn
  • Hospitalstraße 32, zwei Steine für Thekla und Flora Lehmann
  • Beethovenstraße 10, zwei Steine für Elfriede und Paul Reinheimer
  • Bungertstraße 5, ein Stein für Gustav Sender
  • Alsfassener Straße 74, ein Stein für Israel Lanz.


Zusammen mit dem Landkreis hat der Verein eine kleine Broschüre "Stolpersteine in St. Wendel - 2. Verlegung am 19.11.2012"pdf erstellt, in der über die Verlegung informiert wird. Darin findet man auch die Namen aller ermordeten jüdischen St. Wendeler Bürger(innen). 

Mommstraße 11

 IMG 0949

Julius Drexler:
Er wurde am 11. Juni 1864 in Konken bei Kusel geboren und zog zum Beginn des 19. Jahrhunderts  nach St. Wendel. Er war mit Emilie Rothschild verheiratet, die 1919 starb und auf dem jüdischen Friedhof von St. Wendel begraben liegt. Er übte den Beruf des Geschäftsführers aus. Er wurde in Auschwitz ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt, wahrscheinlich im Jahre 1942.

Lydia Drexler:
Die Tochter von Julius wurde am 19.12.1896 in Konken geboren. Sie wuchs in St. Wendel in der Mommstraße 11 auf. Sie wurde in Auschwitz im Jahre 1942 ermordet.

Brühlstraße 9

IMG 0954

Walter Kahn wurde am 12.11.1905 in St. Wendel geboren. Nach dem 13. Januar 1935 flüchtete er nach Frankreich, lebte zunächst in Roubaix und Lille, später in Lyon. Dort wurde er bei einer Razzia am 3. August 1944 festgenommen und am 31. August 1944 mit Transport Nr. 77 von Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert. Höchstwahrscheinlich wurde er am Tage der Ankunft dort vergast. Er wurde 38 Jahre alt.

Hospitalstraße 32

IMG 0958

Thekla Lehmann:
Sie wurde am 7.8.1897 in St. Wendel geboren. 1935 wurde sie wegen einer Nervenkrankheit in die Jacoby`schen Krankenanstalten in Bendorf-Sayn, Nähe Mainz, eingewiesen. Von dort wurde sie am 25. März 1942 ins Ghetto Piaski deportiert, wo sie ermordet wurde. Sie wurde 45 Jahre alt.

Flora Lehmann:
Sie wurde am 19.3.1907 in St. Wendel geboren, lernte den Beruf der Säuglingsschwester und verzog 1936 über Frankfurt nach Berlin. Von hier wurde sie am 6. März 1943 mit Transport Nr. 35 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Sie erreichte das Alter von knapp 37 Jahren.

Beethovenstraße 10:

IMG 0959

Elfriede Reinheimer:
Sie wurde am 31.7.1884 als Elfriede Grünberg geboren ud heiratete Alexander Reinheimer aus St. Wendel. 1935 flüchtete sie mit Mann und Kindern nach Holland zu Verwandten. Ihr Mann Alexander verstarb 1941 in Meppel. Sie wurde in Westerbork interniert und von dort 1942 nach Auschwitz deportiert. Am 2. November 1942 wurde dort sie im Alter von 58 Jahren ermordet.
Paul Reinheimer:
Elfriedes Sohn Paul wurde am 29.4.1913 in St. Wendelgeboren. Er flüchtete zusammen mit den Eltern 1935 nach Holland. Ebenfalls in Westerbork interniert wurde auch er 1942 nach Auschwitz deportiert. Er wurde am 9. September 1942 im Alter von 29 Jahren ermordet.

Bungertstraße 5

Gustav Sender Bungerstr. 5

Gustav Sender, geboren am 2. August 1880 in Bosen, war Viehhändler. Er flüchtete nach Frankreich, lebte in Paris und wurde im Juni 1943 bei einer Razzia festgenommen. Am 23. Juni 1943 wurde er mit Transport Nr. 55 von Drancy nach Auschwitz deportiert. 2 Tage später wurde er dort ins Gas getrieben. Er wurde 62 Jahre alt.

Alsfassener Straße 74

IMG 0961

Israel Lanz wurde am 18. Juni 1893 in Polen geboren. Er war verheiratet und hatte 2 Söhne. Er flüchtete nach Süd-Frankreich, wurde aber im Februar 1943 verhaftet und in Gurs interniert. Von dort wurde er über Rivesaltes nach Drancy verbracht und am 4. März 1943 mit Transport Nr. 50 nach Maidanek oder Sobibor deportiert. In diesem Transport befand sich auch der Bildhauer Otto Freundlich, der Initiator der Skulpturenstraße des Friedens. Israel Lanz starb mit 49 Jahren.

Berl Anzeige(Anzeige im Adressbuch von St. Wendel von 1933)

Das Textilgeschäft von Eugen und Erna Berl war in der Schloßstraße 6. Sie wollten ihren Betrieb nicht verkaufen, sondern weiter standhaft in St. Wendel bleiben. (7)Fritz, his parents and workers of the store Allerdings zeigten die Boykottaufrufe der Nationalsozialisten, nicht mehr bei Juden einzukaufen, auch in St. Wendel ihre Wirkung. Die St. Wendeler Bürgerinnen und Bürger mieden das Geschäft der Berls und so mussten sie wohl oder übel schließen. Dazu kam die Anklage für Eugen Berl, gegen das Blutschutzgesetz vom September 1935 verstoßen zu haben, weil er bis zur Schließung seines Ladens zwei weibliche „arische" Angestellte unter 45 Jahren beschäftigt hatte. Eugen Berl verstarb am 01. August 1936, seine Ehefrau Erna wurde an seiner Stelle auf Grund der Nürnberger Rassegesetze 1936 verurteilt und am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Süd-Frankreich verschleppt, von wo sie 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Ihr Sohn Fritz wurde 1938 vom St. Wendeler Gymnasium verwiesen und flüchtete allein über Italien nach Palästina, wo er eine Familie gründete. Seine Tochter und seine Enkel leben heute noch dort. Das Textilgeschäft der Eheleute Berl wurde 1941 in St. Wendel versteigert.

Für Erna Berl wurde am 9. April 2011 ein Stolperstein verlegt.

(Quelle: "Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz")


 

Wildmann(Eintrag im Adressbuch von St. Wendel von 1933)

Am Mittwoch, dem 02. Oktober 1935, konnten die Leserinnen und Leser der beiden St. Wendeler Zeitungen jeweils in einer Anzeige lesen, dass Herr Emil Sertel ab dem 02. Oktober 1935 die Firma Hermann Wildman, St. Wendel, gegründet 1891, Groß- und Einzelhandel in Getreide, Lebens-, Futter-, Düngemittel und Teigwarenfabrikation übernommen hatte. Der Betrieb hatte seinen Sitz in der Kelsweilerstraße 27, Eigentümer war der zweite Sohn des Betriebsgründers, Paul Wildmann.

(Quelle: "Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz")

 

Reinheimer und Mendel(Eintrag im Adressbuch von St. Wendel von 1933)

Am Mittwoch, dem 04. Dezember 1935, konnten die Leserinnen und Leser der beiden St. Wendeler Zeitungen jeweils in einer großen Anzeige lesen, dass Herr Gustav Weyrich, die Firma Reinheimer und Mendel käuflich erworben hatte. Wörtlich lautete der Text: „Die Firma Rheinheimer und Mendel habe ich käuflich erworben. Neueröffnung am Donnerstag, dem 5. Dezember 1935, vormittags 8 Uhr. Mein Grundsatz: Gute Qualitäten, reiche Auswahl, reelle Preise. Gustav Weyrich – St. Wendel, gegenüber dem Wendelsdom – Manufakturen, Herren-Konfektion, Kurz-, Weiß- und Wollwaren."

Die im Adressbuch eingetragenen Auguste, Babetta, Eduard und Lina wurden samt ihrer gesamten Familie in Auschwitz ermordet. Für sie wurden am 9 April 2011 Stolpersteine vor ihren letzten Wohnungen verlegt.

(Quelle: "Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz")

 

Eppstein(Eintrag im Adressbuch von St. Wendel von 1933)

Jakob und Laura Eppstein

Laura, geborene Lehmann, und Jakob Eppstein vor ihrer Drogerie, Balduinstraße 16

Am Samstag, dem 27. Juli 1935, fand sich im Anzeigenteil des „St. Wendeler Volksblattes" folgende Anzeige: „Geschäfts-Übernahme! Der verehrten Einwohnerschaft von St. Wendel und Umgebung zur Kenntnis, daß ich die von Herrn Jakob Eppstein betriebene Drogerie übernommen habe. Ich bitte mir beim Einkauf der einschlägigen Artikel Vertrauen entgegen bringen zu wollen. Albert Busert."
Dieser öffentlichen Bekanntmachung war der Kaufvertragsabschluss vom 10.07.1935 vor dem St. Wendeler Notar Maximilian Nikolaus Jochem voraus gegangen. Aus der Akte kann man folgende Daten entnehmen:

Verkäufer: Eheleute Jakob Eppstein und Laura geborene Lehmann in St. Wendel.
Käufer: Albert Busert, Drogist in St. Wendel.
Kaufgegenstand: Grundbuch St. Wendel, Blatt 2180, Flur 6, Nummer 434, Wohnhaus mit Hofraum, 0,84 Ar, Balduinstraße 16.
Kaufpreis:
16.000,00 Goldmark. Hiervon war ein Betrag von 14.500,00 ohne Zinsen innerhalb von vier Wochen zu zahlen. Der Kaufpreisrest von 1.500,00 Goldmark war mit 5% vom 15. Juli 1935 ab zu verzinsen und innerhalb von zwei Jahren zu zahlen.
(Quelle: "Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz")

Dass die Eheleute Laura und Jakob Eppstein ihre Drogerie weit unter Wert verkaufen mussten, lässt sich daraus ableiten, dass sie 1922 von der Kreissparkasse St. Wendel ein Darlehen über 80.000 Mark erhielten, das sie mit ihrem Geschäft absicherten. Geht man davon aus, dass eine Bank eine Immobilie mit nicht mehr als 50% beleiht, so kann man sich ausrechnen, das die Dogerie über 150.000 Mark wert gewesen sein muss. Die Eppsteins erlösten also gerade einmal 10% des wirtschaftlichen Wertes.

Familie Eppstein vor DrogerieDas Foto zeigt Jakob und Laura Eppstein mit Irvin, Sohn Jakobs aus erster Ehe mit Johanna Braunschweig, vor der Drogerie in der Balduinstraße 16. Jakob war in die USA ausgewandert, hatte dort Johanna Braunschweig geheiratet und die Kinder Irvin und Selma bekommen. Nach dem Tod Johannas kehrte er nach Deutschland zurück und erwarb 1922 das Anwesen Balduinstraße 16 in St. Wendel, wo er die Dogerie gründete. Nach dem Verkauf 1935 emigrierte die Familie zunächst nach Luxemburg und von dort 1939 nach TelAviv, wo Jakob und Laura Eppstein ihre letzte Ruhestätte fanden.