Das alternative Heimatbuch

Ansprache zum 27. Januar 2020, gehalten von Wienand Bärschneider am 26. Januar 2020


Winand Bärschneider bei seiner Ansprache

Wir erinnern heute an Alois Kunz. Er war kein Heiliger und kein Superstar, wohl aber ein äußerst mutiger und konsequenter Mensch: wachsam und weitsichtig, hellhörig und aufmerksam. Schon früh erkannte er die tödliche Gefahr, die vom immer mächtiger werdenden braunen Ungeist ausging, während viele andere noch 1934 glaubten, der Spuk wäre bald vorbei. Alois Kunz ging in seinem Weg unbeirrt weiter und musste seinen Mut und seine Konsequenz letztlich mit dem Leben bezahlen: ermordet in Auschwitz, der Hölle auf Erden!
Morgen jährt sich zum 75.mal der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee. „Nie wieder“ lautete der Schwur. „Wehret den Anfängen“ hieß es zu meiner Schulzeit vor 50 Jahren.

Und heute?

Eine erschreckende Blutspur rechten Terrors zieht sich seit Jahren durch Deutschland. Entschiedenes Handeln ist jetzt notwendiger denn je!
Endlich – wenn auch sehr spät- hat der Bundesinnenminister nach dem menschenverachtenden Attentat von Halle, Verfassungsschutz und Kriminalämter personell deutlich aufgestockt, inhaltlich neu aufgestellt und weitere Maßnahmen angekündigt. Wie aber nicht anders zu erwarten war, prallten sofort höchst unterschiedliche (Be)Wertungen aufeinander: Grüne und FDP im Bundestag begrüßten die Maßnahmen grundsätzlich – hielten sie aber für völlig unzureichend! AfD und Linke hingegen lehnten das komplette Maßnahmenpaket als völlig überzogen ab!

Was denn jetzt?!?

Weimar ist auch daran gescheitert, dass die Gegenkräfte zum Nationalsozialismus heillos zerstritten waren und auf Nebenschauplätzen wertvolle Energie vergeudeten. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Konzertierte Aktionen sind gefragt – ebenso konstruktive Ideen und eine echte Dialogbereitschaft. Auf Hass und Häme müssen auch die verzichten, die sich für die Guten halten. Wir brauchen keine roten und keine braunen Saalordner und Straßenkämpfer!
Das Gewaltmonopol muss beim Staat verbleiben, der aber dann auch mit allen rechtsstaatlichen Mitteln geltendes Recht durchsetzen und uns – seine Bürger vor den unterschiedlichsten Bedrohungen schützen muss! Zum Gebot der Fairness gehört es in diesem Zusammenhang auch, dass wir alle verantwortlichen Politiker nicht ständig nur Ablenkungsmanöver oder gar blinden Aktionismus vorwerfen, wenn z.B. gefordert wird, eben auch Hersteller und Nutzer von Ballerspielen, wild gewordene Rapper mit dicken Armen und dünnen Botschaften sowie extreme skandinavische Satanisten etwas genauer unter die Lupe nehmen, ohne allerdings gleich ganze Branchen unter Generalverdacht zu stellen!
Andererseits dürfen wir nicht zulassen, dass – zumindest gelegentlich – beim Umgang mit Menschenrechtsverletzungen mit zweierlei Maß gemessen wird: Im Dezember verlieh das Europäische Parlament – mutig und klug – den Sacharow-Preis an den verschwundenen chinesischen Menschenrechtler Ilham Tohti, dessen Tochter Jewher die hohe Ehrung entgegennahm; wenig mutig und dafür äußerst unklug weigerten sich die selben Abgeordneten nur wenige Stunden später, die Verantwortlichen für offenkundige Rechtsbrüche und Menschenrechtsverletzungen in Malta zumindest zu rügen. Die Gründe für diese Verweigerungshaltung kann ich nur erahnen…

So wichtig wie das Prinzip der Gleichbehandlung ist in diesem Zusammenhang der lateinische Grundsatz des „Audiatur et altera pars“ – auch die andere Seite muss gehört werden. So schreibt Tobias Schulze in seinem Kommentar zur Debatte um die Gewalt an Silvester in Leipzig-Connewitz in der TAZ vom 03.01.2020: „Wer jetzt eine differenzierte Debatte führen möchte, braucht ein dickes Fell!“ Ich darf ergänzen: … und  jede Menge Geduld sowie Zuhörvermögen“! Genau in diese Richtung deute ich auch die Fragen des Bundespräsidenten in seiner Weihnachtsansprache:
„Was machen wir jetzt mit all´ dem Streit? Wie wird aus der Reibung wieder Respekt? Wie wird aus der Dauerempörung eine ordentliche Streitkultur? Und genau diese brauchen wir: - im Alltag und im Bundestag – zu Hause und in der Welt!

Dummen Sprüchen in der Kneipe und auf dem Sportplatz müssen wir selber selbstbewusst widersprechen!

Für die Analyse der Reden des Faschisten Höcke und anderer Flügelstürmer ist der Verfassungsschutz zuständig – für die Holocaust-Leugner und andere verbale Straftaten die Staatsanwaltschaft und für unbelehrbare bewaffnete Reichsbürger die Polizei! Für uns alle sind Aufmerksamkeit und Wachsamkeit angesagt – aber auch Besonnenheit und Verhältnismäßigkeit.

Wirklich menschenverachtenden Rassismus muss ich als Fußballfreund seit Jahren immer wieder in großen und kleinen Stadien bei uns vor Ort in der saarländischen Heimat und europaweit vor dem Fernseher erleben: Kurz vor Weihnachten wurde unser deutscher Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger während eines Spiels in der englischen Premier-League laut Kicker schon zum wiederholten Male – in übelster Weise verbal und mit Gesten rassistisch beleidigt.
Ähnlich schlimme Vorfälle sind auch aus Italien und anderen europäischen Ligen belegt. Gegen solche und gegen alle anderen Diskriminierungen müssen wir entschieden vorgehen und bei den Verantwortlichen auf Konsequenzen drängen! Dabei ist das Ziel klar – Wege und Methoden scheinen aber vielfach umstritten zu sein, wie das folgende Beispiel zeigt:
Am 11. Dezember des vergangenen Jahres kam Felix Blume - besser bekannt als Kollegah und berüchtigt für Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Schwulenhass und Gewaltverherrlichung – zu einem Konzert nach Saarbrücken. Die jüdische Gemeinde protestierte im Vorfeld gegen diesen – nicht nur aus ihrer Sicht – Skandal! Richard Bermann, Vorstandsvorsitzender der jüdischen Gemeinde Saar, wörtlich: Geistige Brandstifte a‘ la Kollegah haben bei uns nichts zu suchen!“ Das sahen und sehen viele von uns auch so. Christa Jenal beispielsweise – langjährige Vorkämpferin gegen Gewaltverherrlichung in der Musikkultur, forderte vergeblich von der Stadt Saarbrücken eine Verhinderung des Konzertes. Katharina Kunze hingegen – Frauenbeauftragte der Stadt Saarbrücken – verlangte statt eines Verbotes einen Dialog im sozialen Umfeld der Fans, denn eine Absage würde die meist jugendlichen Besucher nur frustrieren und somit möglicherweise eine Trotzhaltung provozieren. Das Bündnis „Bunt statt Braun“ sah sich auf SZ-Anfrage mit wenig überzeugender Begründung außer Stande, eine Demo gegen das Konzert zu organisieren. Letztlich entschied ein Gericht, dass Kollegah auftreten durfte ….. Lediglich die besonders krasse Liedzeile zu den Auschwitz-Insassen musste er weglassen.

Gemeinsam gegen Rechts geht anders.

Für noch gefährlicher als den Rapper mit den – laut SZ – dicken Armen und den dünnen Botschaften, hält die eben schon erwähnte Musikwissenschaftlerin Chrsita Jenal die extremen – nicht nur aus Skandinavien stammenden – Vertreter der satanischen Black-Metall-Szene, deren menschenverachtendes Weltbild nicht vor der Umkehrung aller unserer Werte zurückschreckt: Aus Nächstenliebe soll Hass werden – aus Respekt vor der Würde des Menschen werden Verachtung und Gewaltlyrik gegen Frauen, Homosexuelle, Juden und Christen, begründet auf einem angeblichen Überlegenheitsgefühl und vermeintlichen Recht auf Gewalt gegenüber Andersdenkenden!
So durfte die deutsche Band „Vulture“ Ende 2018 in Otzenhausen mit Absegnung der lokalen Polizeibehörde und der saarländischen Staatsanwaltschaft die Vergewaltigung einer Frau mit einem Messer an der Kehle als freie Phantasie besingen – angeblich im Einklang mit der vielbeschworenen Freiheit der Kunst, frei zugänglich, ohne jegliche Altersbeschränkung!
Spätestens hier müssen doch bei uns allen die Alarmglocken schrillen, zumal Christa Jenal in der Dezember Ausgabe der Zeitschrift, "imprimatur" wörtlich ausführt: „Der Übergang zum politischen Rechtsextremismus ist fließend und an vielen Akteuren belegbar!“

Da kann doch der Auftrag an uns alle nur lauten, noch etwas genauer hinzuhören, was unsere Kinder und ihre Freunde so hören.

Von der gefährlichen Uneinigkeit der Demokraten wie im Falle Kollegah profitieren nahezu alle Vertreter der politischen Ränder – nicht nur die AfD!
Also müssen wir in alle Richtungen wachsam sein, denn –wie unser Vereinsvorsitzender Eberhard Wagner es immer formulierte: „Ganz Links und ganz Rechts treffen sich im Faschismus!“

Der aus dem Saarland stammende Mainzer Geschichtsprofessor Andreas Rödder hat sogar einen Vorschlag für die beiden Noch-Volksparteien Union und SPD: „Volksparteien haben auf Dauer nur eine Chance, wenn sie argumentationsfähig bleiben. Und das gilt heute ganz besonders, wo wir eine zunehmende Polarisierung zwischen einem hypermoralischen Unbedingtheitsanspruch von Links und einem nationalistischen Ressentiment von Rechts erleben. Wir brauchen eine sprechfähige Mitte!“ (Zitatende)

Dass hierbei unsere Medienvertreter eine besondere Rolle spielen und eine echte Vorbild Funktion innehaben, steht außer Frage!
Dieser Vorbildfunktion wird die schon mehrfach ausgezeichnete Journalistin und Moderatorin Anja Reschke ganz offensichtlich gerecht. Übereinstimmend heißt es in den Begründungen der jeweiligen Kuratorien (ich fasse zusammen und zitiere sinngemäß): „Sie schaut genau hin und erklärt klarsichtig, objektiv und weltoffen die politische Landschaft und zeigt dabei Haltung ohne Arroganz, Toleranz ohne Beliebigkeit und Stehvermögen ohne Sturheit“!
Der freie WDR-Journalist Daniel Hollek hingegen darf solch eine Charakterisierung für sich nicht in Anspruch nehmen, wenn er schreibt: „Eure Oma war keine Umweltsau. Stimmt! Eure Oma war eine Nazisau!“ – Zitatende –

Mit Hass im Herzen und Schaum vor dem Mund werden wir nichts verbessern können. Auch die Diskussion, ob denn nun bei der jüngsten Landtagswahl in Thüringen ein Viertel der Wähler die AfD mehrheitlich oder gänzlich, oder nur in Teilen trotz oder wegen Björn Höcke, den man offiziell als Faschisten bezeichnen darf gewählt hat, bringt uns nicht weiter.
Eine ähnlich gelagerte Frage geistert bei uns Saarländern seit 1935 unbeantwortet herum ….

Besinnen wir uns lieber auf folgende uralte Weisheit: „Wir müssen die Welt nehmen wie sie ist – aber wir müssen sie nicht so lassen!“

Ein wahrhaft leuchtendes Beispiel für konstruktiven und kreativen Einsatz gegen Hass und Gewalt liefert in diesem Sinne der Fußball-Club Borussia Dortmund seit 2012 mit seiner Stiftung „Leuchte auf – dem Antisemitismus die Wurzel ziehen“. Vielfältige Projekte im sozialen und im politischen Bereich werden ideell und materiell großzügig unterstützt!
Von Zeltlagern für sozial benachteiligte Kinder und finanzieller Unterstützung von Opfern rechter Gewalt über Informationsveranstaltungen in Schulen, Vereinen und Jugendzentren bis zur Großspende für die Erweiterung des Hauses der Sammlungen in Yad Vashem reicht die Bandbreite gezielter Aktionen für Menschlichkeit und gegen Hass und Gewalt.

Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung der AfD im Auge behalten. Das versteht sich doch ganz von selbst! Allerdings muss gerade hierbei das Differenzierungsgebot beachtet werden. Die beiden nachfolgenden Zitate sagen dazu aus meiner Sicht das Entscheidende: In der TAZ vom 02. Januar schrieb die innenpolitische Korrespondentin Sabine am Orte wörtlich: „Die AfD ist eine rechtsradikale Partei mit rechtsextremen Elementen. Das bedeutet im Umkehrschluss zwar nicht, dass alle AfD-Mitglieder oder gar alle AfD-Wähler Rechtsextremisten sind. Aber wer sein Kreuz bei der AfD macht, muss sich sagen lassen, dass er Rechtsextremisten unterstützt!“
Im Kölner Stadtanzeiger hieß es wenige Wochen zuvor: „Brandner ist ein schamloser Rechtsradikaler und war unwürdig, dem Rechtsausschuss des Bundestages vorzusitzen. Statt ihn in die Schranken zu weisen, haben Weidel und Gauland ihn gewähren lassen und sich an der Verhöhnung von Juden und AfD-Kritikern zum Schluss beteiligt. Beide stehen Brandner in Sachen Schamloskeit kaum nach. Die AfD ist eine gefährliche Partei, weil sie durch Provokationen und Regelbrüche versucht, Institutionen zu beschädigen und so die Demokratie zu destabilisieren.“ 

Und wieder sind wir alle gefordert – ermuntert vom Bundespräsidenten, wenn er darauf hinweist, dass wir die Demokratie brauchen – die Demokratie aber vor allem uns! – und zwar jetzt! – braucht.

In der Schlussphase meiner Vorbereitungen auf diese Ansprache habe ich nochmals in verschiedenen Werken der Weltliteratur geblättert: bei konfessionslosen Humanisten und in unserer Bibel, in der deutschen Übersetzung des Koran sowie bei zahlreichen Einzelpersonen von Rosa Luxemburg über Martin Luther King bis zu Willi Graf, um nur einige zu nennen. Und bei allen habe ich oft oder gar überwiegend Worte der Versöhnung und der Toleranz gefunden. Am besten gefallen hat mir die nachfolgende Stelle aus dem Talmud, dem großen jüdische Lehrbuch, mit der ich schließen möchte:

Es gibt 10 starke Dinge:

Eisen ist stark – doch es schmilzt im Feuer!
Feuer ist stark – doch das Wasser löscht es!
Wasser ist stark – doch Wolken verwandeln es in Dampf!
Wolken sind stark – doch der Wind vertreibt sie!
Der Mensch ist stark –doch die Angst wirft ihn nieder!
Die Angst ist stark – doch der Schlaf überwindet sie!
Der Schlaf ist stark – doch der Tod ist stärker!

Herzensgüte aber übersteht auch den Tod!

In Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen, die in deutschem Namen begangen wurden, legen wir nun diesen Kranz an der Erinnerungstafel an Alois Kunz nieder.